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Haftpflichtversicherung

Zur Reichweite des Familienprivilegs nach § 116 Abs. 6 SGB X („Regress durch die Hintertür?“)

Was war passiert?

Der Geschädigte war im Zuge eines Verkehrsunfalls im Jahr 1986 verletzt worden; als Kind hatte er unangeschnallt auf dem Rücksitz des Fahrzeugs gesessen und sich infolge der Kollision lebensgefährliche Verletzungen zugezogen. Für die dem Geschädigten entstandenen Schäden hafteten der Halter des anderen Fahrzeugs und seine eigene Mutter (als Fahrerin des eigenen Fahrzeugs) als Gesamtschuldner. Rechtskräftig war eine Haftungsverteilung im Gesamtschuldner-Innenverhältnis von jeweils 50% zu Lasten der beiden Unfallbeteiligten festgestellt worden. Sodann hat der Sozialversicherungsträger zugunsten des Geschädigten Leistungen in einer Höhe von 2.987,88 Euro erbracht und hiervon – nach gesetzlichem Forderungsübergang gemäß § 116 Abs. 1 SGB X – einen Anteil von 2.240,91 Euro beim Halter regressiert. Hiervon begehrt der Halter nunmehr unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Gesamtschuldner-Innenausgleichs von der Mutter des Geschädigten eine anteilige (50%-ige) „Beteiligung“ in Höhe von 1.120,46 EUR. Ist dies zulässig?

Familienprivileg und dessen Auswirkungen auf den Gesamtschuldner-Innenausgleich

Wäre ein Regress gegen die Mutter des Geschädigten zulässig, dann würde die Mutter des Geschädigten trotz des in § 116 Abs. 6 SGB X an sich vorgesehenen „Familienprivilegs“ (wonach der Anspruchsübergang ausgeschlossen ist, sofern es sich bei einem Schädiger – wie hier – um einen Familienangehörigen des Geschädigten handelt) „durch die Hintertür“ des Gesamtschuldnerausgleichs im Ergebnis dennoch für die Sozialleistungen zugunsten ihres Sohnes haftbar gemacht,

  • wenn auch zwar nicht unmittelbar durch Inanspruchnahme des Sozialversicherungsträgers aus übergegangenem Recht,
  • dafür aber mittelbar über den „Umweg“ des Gesamtschuldner-Innenausgleichs mit dem Halter als Zweitschädiger.

Eine solche Vorgehensweise ist nach unserem Dafürhalten nicht zulässig.

Nach den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen für die Schadenregulierung in einem gestörten Gesamtschuldverhältnis gilt Folgendes:

  • Im Falle eines Gesamtschuldverhältnisses mit zwei Schädigern,
  • die im Innenverhältnis zueinander zu jeweils 50% haften und
  • von denen einer das Familienprivileg (§ 116 Abs. 6 SGB X) genießt,
  • ist es dem Sozialversicherungsträger zum einen untersagt, den durch das Familienprivileg geschützten Schädiger in Anspruch zu nehem,
  • und zum anderen ist es dem Sozialversicherungsträger untersagt, den nicht privilegierten (Zweit-) Schädiger auf 100% in Anspruch zu nehmen (wenngleich dies in Fällen eines „normalen“ Gesamtschuldverhältnisses ohne Weiteres möglich ist, ist es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs im gestörten Gesamtschuldverhältnis unbillig, wenn die Privilegierung des einen Schädigers zu Lasten des anderen ginge);
  • die Privilegierung des einen Schädigers soll danach ausschließlich zu Lasten des regressierenden Sozialversicherungsträgers gehen, denn der Haftungsanteil im Innenverhältnis wird in diesen Fällen auf das Außenverhältnis „übertragen“, d.h. der regressierende Sozialversicherungsträger kann seine Leistungen von vorne herein nur in Höhe des dem nicht privilegierten Schädiger (im Gesamtschuldner-Innenverhältnis) zugewiesenen Haftungsanteils von 50% geltend machen.

Wenn hier mithin der Sozialversicherungsträger Leistungen in Höhe von beispielhaft 2.000,00 EUR zugunsten des Geschädigten erbracht hätte, dann könnte er einen Betrag von 1.000,00 EUR (entsprechend dem im Innenverhältnis geltenden Haftungsanteil von 50%) gegenüber dem Halter aus übergegangenem Recht regressieren. Unzulässig ist es hiernach aber, wenn der Halter hiervon wiederum einen Anteil von 50% (einen „Anteil vom Anteil“) gegenüber dem privilegierten Schädiger im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs geltend machen könnte, denn hierdurch würde der unter dem Schutz des Familienprivilegs stehende Schädiger ja letztlich doch zur Haftung herangezogen (und zwar zu 25%).

Sofern man die Auffassung vertreten wollte, dass das Familienprivileg nicht einschlägig ist, da es sich ja nicht um auf einen Sozialversicherungsträger übergegangene Ansprüche handele, sondern um eigene Ansprüche des Zweitschädigers aus dem Gesamtschuldverhältnis, so mag eine solche Betrachtung rein formal zwar zutreffend sein, jedoch wird hierbei verkannt, dass sich Außen- und Innenhaftung in den Fällen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses nicht losgelöst voneinander beurteilen lassen, da die Innenhaftung die Außenhaftung ja bereits maßgeblich beeinflusst: Obgleich der nicht privilegierte Geschädigte im Außenverhältnis normalerweise zu 100% haftet, wird er im Fall eines gestörten Gesamtschuldverhältnisses ja bereits bevorteilt, indem der Anspruch im Außenverhältnis auf den Anspruch im Innenverhältnis „gedeckelt“ wird, d.h. der nicht privilegierte Schädiger schuldet im Außenverhältnis nicht mehr, als er im Innenverhältnis vom Zweitschädiger verlangen könnte. Dieses Ergebnis ist auch durchaus sachgerecht, da der nicht privilegierte Schädiger im Ergebnis in gleicher Höhe haftet, wie dies im Falle eines „gesunden“ Gesamtschuldverhältnisses der Fall wäre.

Wenn der nicht privilegierte Schädiger mit die ihm im fiktiven Gesamtschuldner-Innenverhältnis zustehende Quote schon gegenüber dem Geschädigten entgegenhalten kann (obwohl er andernfalls im Außenverhältnis zu 100% haftete), dann ist der Gesamtschuldner-Innenausgleich nach unserer Auffassung „verbraucht“ und im Nachgang ausgeschlossen bzw. versperrt.

Kontrollfrage:

Welchen Sinn macht die vom Bundesgerichtshof vorgesehene „Deckelung“ des Anspruchs gegen den nicht privilegierten Schädiger im Außenverhältnis, wenn dieser seinen Anteil im Wege des Gesamtschuldner-Innenausgleichs dann wieder anteilig beim privilegierten Schädiger regressieren könnte? Der nicht privilegierte Schädiger würde hierdurch nicht lediglich vor eine Benachteiligung geschützt, er würde sogar besser stehen, als er im Falle eines gesunden Gesamtschuldverhältnisses stehen würde.

Würde man eine Regressierung gegen die Mutter des Geschädigten zulassen, dann würde hiermit das einheitliche „Haftungsregime“ bei gestörten Gesamtschuldverhältnissen durchbrochen, bei welchem es sich nach unserer Auffassung um ein „geschlossenes System“ handelt, d.h. wenn ein Träger der Sozialversicherung gegenüber einem nicht privilegierten Schädiger regressiert, dann werden die Interessen des nicht privilegierten Schädigers angemessen und vor allem abschließend in der Weise berücksichtigt, dass dieser ja nicht zu 100% haftet (was eigentlich der Fall wäre), sondern nur in Höhe desjenigen Anteils, wie er im Innenverhältnis zum privilegierten Zweitschädiger haften würde.

Bildlich gesprochen hat sich der nicht privilegierte Schädiger die für das Innenverhältnis geltende Haftungsquote ja schon zur Außenhaftung „gezogen“ und dadurch bereits seine  Außenhaftung entsprechend gemindert. Würde er nunmehr noch einmal die für das Innenverhältnis geltende Haftungsquote im Rahmen eines Gesamtschuldnerinnausgleichs „benutzen“, dann entspräche dies einer Doppelverwertung, die den nicht privilegierten Schädiger übervorteilen und im Ergebnis dann den privilegierten Schäden „über Umwege“ dennoch an den Kosten des SVT beteiligen würde. Die vom Bundesgerichtshof für den Fall eines gestörten Gesamtschuldverhältnisses aufgestellten Kriterien würden hierdurch konterkariert.

Dr. René Steinbeck

Dr. René Steinbeck ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Boutique für Versicherungs- und Haftpflichtrecht Steinbeck und Partner.