Kraftfahrtversicherung

Werkstatt- und Prognoserisiko

LG Düsseldorf, Urteil vom 20.03.2020 – 20 S 105/19

Der Kläger verlangte nach einem Verkehrsunfall Ersatz restlicher Reparaturkosten. Die Beklagte ersetzte dem Kläger den Schaden von über EUR 9.000 bis auf einen Betrag von EUR 2.905,57. Den Abzug nahm die Beklagte für die Erneuerung des hinteren Seitenteils vor, weil ihres Erachtens – sowie nach den Angaben des Herstellers – ein Teilersatz ausreichend gewesen wäre. Dabei wurde die Reparatur des klägerischen Fahrzeugs in der von der Streithelferin betriebenen Werkstatt nach den Vorgaben eines Sachverständigengutachtens durchgeführt. Das Gutachten, das der Kläger zuvor hatte einholen lassen, sah die Erneuerung vor. Der Kläger hatte seine Ansprüche in Höhe der verbliebenen Reparaturkosten an die Reparaturwerkstatt abgetreten und trat als gewillkürter Prozessstandschafter auf.

Der Kläger hatte behauptet, dass diese Kosten der Erneuerung erforderlich seien.

Das Amtsgericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben, weil die Beklagte das Werkstatt- und Prognoserisiko trage und das Privatsachverständigengutachten die Erneuerung vorgesehen habe.

Auf die Berufung der Beklagten wurde das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.

Aus den Gründen:

Die Berufung ist begründet, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung zum Nachteil der Berufungsklägerin beruht (§§ 513, 546 ZPO) oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Das ist hier der Fall.

Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig. Sie folgt aus §§ 7, 17, 18 StVG, 115 VVG sowie §§ 823 Abs. 1 BGB, 115 VVG. Der Höhe nach stehen dem Kläger aber keine weiteren Ansprüche gegen die Beklagte zu. Die Kosten der Erneuerung des Seitenteils sind nicht zu ersetzen.

Rechnet ein Geschädigter auf fiktiver Basis ab, ohne dass also die sich aus einem Gutachten oder Kostenvoranschlag ergebenden Arbeitsschritte in Auftrag gegeben und berechnet sind, dann steht das Gutachten bzw. der Kostenvoranschlag in vollem Umfang zur Überprüfung. Arbeitsschritte daraus, die objektiv nicht erforderlich sind, kann der Geschädigte nicht ersetzt verlangen.

Sind die Arbeiten dagegen durchgeführt und vom Geschädigten bezahlt worden, kann er von der gegnerischen Versicherung vollen Ersatz verlangen. Es gilt der vom Kläger zu Recht zitierte Grundsatz, dass ein Geschädigter alle Aufwendungen ersetzt verlangen kann, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Dritter an seiner Stelle ebenfalls getätigt hätte. Entsprechen die durchgeführten Arbeitsschritte einem zuvor eingeholten Schadensgutachten, ist das in der Regel zu bejahen. Im Gegenzug für den zu zahlenden vollen Schadensersatz hat die gegnerische Versicherung allerdings einen Anspruch auf Abtretung von Schadensersatzansprüchen, die dem Geschädigten gegen die Reparaturwerkstatt zustehen, wenn Arbeitsschritte durchgeführt worden sind, die zur Schadensreparatur nicht erforderlich waren. Es besteht für den Unternehmer kraft überlegener Sachkunde die Nebenpflicht, einen Laien als Auftraggeber darüber aufzuklären, welche Arbeiten tatsächlich zur Erreichung des Auftragsziels erforderlich sind und bei welchen es sich um Zusatzleistungen handelt. Nimmt er die Zusatzleistungen ohne diese Aufklärung vor, dann steht dem Auftraggeber anschließend ein Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB aus Aufklärungspflichtverletzung zu, gerichtet auf Erstattung dessen, was er für die nicht erforderlichen Zusatzleistungen bereits bezahlt hat (zu alledem: AG Recklinghausen SVR 2018, 391).

Noch nicht höchstrichterlich entschieden ist hingegen, wie es sich verhält, wenn die Reparatur durchgeführt, aber noch nicht vom Geschädigten bezahlt worden ist. Nach dem Amtsgericht Recklinghausen, a.a.O., ist ein solcher Schadensersatzanspruch von vornherein vom Werklohn – und damit von der Schadensersatzforderung gegen den gegnerischen Versicherer – abzuziehen, weil dann, wenn dem Geschädigten bekannt sei, dass ein solcher Anspruch gegen die Werkstatt bestehe, er sich nicht mehr auf ein schutzwürdiges Vertrauen in die Richtigkeit der Abrechnung berufen könne. Im Sinne der Schadensminderung (§ 254 BGB) müsse er seine Rechte gegen die Werkstatt geltend machen, bevor die Rechnung vollständig ausgeglichen und er (oder der gegnerische Versicherer) hinterher auf eine mühselige Rückforderung verwiesen sei. Das gelte auch für den Fall, dass der Geschädigte gegenüber der Werkstatt eine „Reparatur nach Gutachten“ in Auftrag gebe. Denn auch in diesem Fall wisse die Werkstatt, was von den aufgelisteten Arbeiten wirklich zur Reparatur nötig sei und was nicht; auch in diesem Fall habe sie also den Geschädigten als ihren Auftraggeber entsprechend aufzuklären. Der Schädiger bzw. gegnerische Versicherer sei derjenige, der sich darauf berufe, dass der Geschädigte einen ihm zustehenden Anspruch gegen die Reparaturwerkstatt geltend machen müsse. Es sei dann auch der Schädiger / gegnerische Versicherer, der das Vorliegen eines entsprechenden Anspruchs darlegen und beweisen müsse. Zu seinen Gunsten seien jedoch die Grundsätze der sekundären Darlegungs- und Beweislast anzuwenden.

Ebenso wäre jedoch vertretbar, dem Geschädigten weiterhin die Darlegungs- und Beweislast aufzuerlegen, weil dieser darzulegen hat, dass ihm durch die Schädigungshandlung  ein  Schaden   entstanden  ist,  mithin  genau  diese   Kosten unfallbedingt angefallen und erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 1 BGB waren. Auf die Vermutung der Richtigkeit der Abrechnung kann er sich dann nicht berufen, weil er diese gerade nicht gezahlt hat.

Hier kann dahinstehen, welcher Ansicht zu folgen ist. Der Kläger hat nicht bewiesen, die Beklagte hingegen bewiesen, dass die Kompletterneuerung nicht notwendig war, vielmehr ein Teilersatz ausgereicht hätte. Hiervon ist die Kammer auf Grund des eingeholten Sachverständigengutachtens i.S.d. § 286 ZPO  überzeugt.  Nach § 286 Abs. 1 ZPO ist ein Beweis dann erbracht, wenn unter Berücksichtigung des Ergebnisses einer durchgeführten Beweisaufnahme sowie dem Akteninhalt und den sonstigen Umständen vernünftigen Zweifeln Schweigen geboten ist. Dies ist hier der Fall. Der Gutachter, der als KFZ-Mechanikermeister und KFZ-Technikermeister besonders zur Beantwortung der Beweisfrage geeignet ist, hat schlüssig und nachvollziehbar herausgearbeitet, dass eine Kompletterneuerung nicht notwendig ist, weil das Schadenbild erkennen lässt, dass das Radhaus instandgesetzt werden kann. Dies verdeutlicht er insbesondere durch entsprechende Lichtbilder, mit Hilfe derer er aufzeigt, wie die einzelnen PKW-Teile zusammenhängen und sich die Möglichkeit der Instandsetzung nach Erneuerung des verformten Teils eröffnet. Die Schlüsse des Sachverständigen sind dabei logisch nachvollziehbar und plausibel. Die Kammer folgt diesen Ausführungen. Eine Kompletterneuerung war nicht notwendig. Die Beklagte hat die Abzüge aus zutreffenden Erwägungen vorgenommen.

Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht mehr darauf an, ob hier zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass der Kläger aus abgetretenem Recht vorgeht, d.h. die Streithelferin als Reparateur den Schadenersatzanspruch geltend macht und ihr – wie  bei  Sachverständigenkosten  auch  – die volle Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Reparaturkosten obliegt (vgl. Näser, NJW-Spezial 2018, 457 m.w.N.).

Dr. René Steinbeck

Dr. René Steinbeck ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Boutique für Versicherungs- und Haftpflichtrecht Steinbeck und Partner.