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Unfallversicherung

Raus, rein, doch wieder raus – Der Infektionsausschluss in der Unfallversicherung

Was war passiert?

In einem derzeit in unserer Prozesspraxis befindlichen Fall hatte sich der Versicherungsnehmer (VN) eines Vertrages über eine Private Unfall-Rentenversicherung beim Schlachten eines Spanferkels in den Finger geschnitten. Hierdurch will er sich mit einem Krankheitserreger vom Typ „Streptokokkus suis“ infiziert und infolge dessen eine Meningitis erlitten haben. Diese Erkrankung wiederum habe Beschwerden in Gestalt eines Gehörverlusts, eines Tinnitus und eines Gangschwindels zur Folge, was wiederum insgesamt die Annahme eines Invaliditätsgrades von 66% rechtfertige.

In seiner Schadenanzeige unmittelbar nach dem Schadenereignis hatte der VN wörtlich Folgendes angegeben:

Beim Schlachten und Ausnehmen eines Spanferkels habe ich mich versehentlich in den rechten Daumen geschnitten: Da die Wunde sehr klein war gab es keinen ärztlichen Behandlungsbedarf. Hierbei habe ich erst die kleine Schnittwunde nach der Arbeit bemerkt und gespürt. Durch die Wunde, die sehr klein war, kam es zur Infektion durch einen Schweineinfekt der zu meinem Bedauern in meinen Körper gelangte.“

Nachdem der Unfallversicherer (VR) Leistungen aus dem Versicherungsvertrag unter Hinweis auf den Ausschluss von Infektionen abgelehnt hatte, erhob der VN Klage. In der Klageschrift wurde der Umfang der Schnittverletzung sodann wie folgt beschrieben:

2,5 cm lange und bis zum Knochen reichende Schnittwunde.

Vertragliche Ausgangslage

Dem Versicherungsvertrag liegen die AUB 98 zugrunde, die unter § 2 die Ausschlüsse vom Versicherungsschutz u.a. wie folgt definieren:

„§ 2 Ausschlüsse
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen:
(…)
(3)    Infektionen.
Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die Krankheitserreger durch eine unter diesen Vertrag fallende Unfallverletzung in den Körper gelangt sind. Nicht als Unfallverletzungen gelten dabei Haut- oder Schleimhautverletzungen, die als solche geringfügig sind und durch die Krankheitserreger sofort oder später in den Körper gelangen. (…).“

Ausschluss. Wiedereinschluss. Doch-wieder-Ausschluss.

Der Infektionsausschluss vermittelt dem unbedarften Betrachter den ersten Eindruck einer gewissen „Unentschlossenheit“: In der Reihenfolge

   raus
   wieder rein
   doch wieder raus.

sind Infektionen und die daraus resultierenden Gesundheitsschäden vom Versicherungsschutz grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn,

  • die Krankheitserreger sind durch Unfallverletzung in den Körper gelangt, es sei denn,
  • die Unfallverletzung war geringfügig (dann soll sie gar nicht als Unfallverletzung im Sinne des Wiedereinschlusses gelten).

Zurück zum Fall.

Ist die Deckungsablehnung des VR zutreffend? Greift der Infektionsausschluss?

1.   Ausschluss: „Infektion“

Unter „Infektion“ ist das Eindringen von Mikroorganismen (Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten) zu verstehen. Eine solche wird man im vorliegenden Fall bejahen können.

2.   Wiedereinschluss: „Unfallverletzung“

Als Unfallverletzung kommt hier die Verletzung mit dem Schlachtermesser in Betracht. Diese stellt unproblematisch eine von außen kommende Einwirkung dar, so dass eine Unfallverletzung grundsätzlich zu bejahen ist; fraglich ist indes – und dies ist derzeit Gegenstand der Beweisaufnahme –, ob die Krankheitserreger auch tatsächlich durch die Schnittverletzung (als Eintrittspforte) in den Körper des VN gelangt sind (oder ob nicht vielmehr auch die Möglichkeit eines Eindringens z.B. über die Schleimhaut, wie z.B. die Augen in Betracht kommt).

Nach dem derzeitigen Stand der Beweisaufnahme geht der gerichtlich beauftragte Sachverständige davon aus, dass Schnittverletzung als höchstwahrscheinliche Eintrittspforte in Betracht kommt. Danach wäre dann wohl von einem Wiedereinschluss auszugehen.

3.   „Doch-wieder-Ausschluss“: „geringfügig“

Aber ist die Schnittverletzung nicht lediglich „geringfügig“ gewesen? Wird man dann nicht vom „Doch-wieder-Ausschluss“ ausgehen müssen?

Wann ist eine Verletzung „geringfügig“?

Wir erlauben uns an dieser Stelle (ausnahmsweise) mal, aus einem recht aktuellen Beschluss des OLG Hamm vom 21.07.2015 (20 U 141/15) „abzuschreiben“. Demzufolge beurteilt sich die Geringfügigkeit einer Hautverletzung nicht in erster Linie nach der Tiefe oder der oberflächlichen Ausbreitung der Verletzung, sondern danach, ob ein Verletzungsbild entstanden ist, dass – objektiv gesehen – Veranlassung gibt, sich in ärztliche Behandlung zu begeben (so auch OLG Köln, Urteil vom 21.09. 2012, r+s 2013, 399; LG Dortmund, Urteil vom 02.10.2014 – 2 O 459/12).n. 14). Denn als geringfügig wird der durchschnittliche VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, auf dessen Verständnismöglichkeiten und Interessen bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen nach ständiger Rechtsprechung abzustellen ist, solche Haut- oder Schleimhautverletzungen ansehen, die keiner Behandlung bedürfen oder mit einfachen Mitteln wie etwa einem Pflaster selbst versorgt werden können und bei denen zu erwarten ist, dass sie alsbald folgenlos wieder verheilen.

Und? Wie verhält es sich hier?
Kein ärztlicher Behandlungsbedarf?
Pflaster ausreichend?

Nun ja. Geht man nach der Erstaussage des VN unmittelbar nach dem Schadenereignis, dann bestand kein Behandlungsbedarf, es bestand nicht einmal ein Grund, die Arbeit zu unterbrechen; die Verletzung war „sehr klein“ und wurde von der VP zunächst gar nicht bemerkt.

Gemessen an den vom OLG Hamm zutreffend aufgestellten Anforderungen an die Annahme einer Geringfügigkeit dürfte man diese hier unproblematisch bejahen können.

Problematisch ist nun aber, dass der VN den Sachverhalt im Klageverfahren dann anders dargestellt hat: Plötzlich handelte es sich nicht mehr um eine sehr kleine Schnittverletzung, die sich nicht einmal bemerkbar machte, sondern um eine 2,5 cm lange und tief bis auf den Knochen reichende Schnittwunde.

Wie wird man diese „Kehrtwende“ bewerten müssen?

Beweislast trägt der VN!

Zunächst einmal wird man berücksichtigen müssen, dass die Beweislast für sämtliche Voraussetzungen des Wiedereinschlusses nach Ziff. 5.2.4.2 AUB 2004 – auch dafür, dass die Haut- oder Schleimhautverletzung mehr als nur geringfügig war – beim VN liegt (so auch OLG Köln, Urteil vom 21.09.2012 – 20 U 116/12, r+s 2013, 399). Wenn der VN mithin die Beweislast für die „Nicht-Geringfügigkeit“ trägt, kann er diesen Beweis in Anbetracht seiner Erstschilderung im Rahmen der Schadenanzeige noch führen?

Nach unserer derzeitigen Einschätzung nicht.

Der Erstschilderung des Versicherungsnehmers kommt im Hinblick auf ein vorgebliches Unfallereignis eine entscheidende Bedeutung zu, weil in dieser Schilderung der Vorfall unbehelligt von rechtlichen Erwägungen am ehesten so berichtet wird, wie er sich tatsächlich zugetragen hat.

Gewicht der Erstschilderung im Rahmen der Beweiswürdigung

Wenn und soweit der Versicherungsnehmer später einen von seiner ersten Unfallschilderung abweichenden Geschehensablauf darlegt, dann sind an die Nachvollziehbarkeit und Widerspruchsfreiheit dieser neuen Darlegung jedoch hohe Anforderungen zu stellen. Wenn mithin die Darlegungen im Rahmen der Erstschilderung plausibel und widerspruchsfrei sind und die zweite Unfallschilderung erkennbar von dem Bemühen getragen ist, einen dem Unfallbegriff erfüllenden Geschehenslauf zu konstruieren, so ist die erste Unfallschilderung für die Beurteilung des Versicherungsschutzes maßgebend (vgl. hierzu LG Köln, Urteil vom 25.10.2010 – 26 O 588/09, r+s 2014, 298).

Ergebnis und Fazit

Der Infektionsausschluss ist derjenige Ausschluss mit dem größten „hin und her“: auf der einen Seite sind Infektionen ausgeschlossen, auf der anderen Seite gilt dies nicht für Unfallverletzungen, diese wiederum werden verneint bei „Geringfügigkeit“.

Die Geringfügigkeit wird man übereinstimmund und zutreffend danach beurteilen müssen, ob aus Sicht des VN ärztlicher Behandlungsbedarf angezeigt war oder nicht.

KONTROLLFRAGE:   Pflaster oder Arzt?

Von wesentlicher Bedeutung ist die Beweislastverteilung: Der VN trägt die Beweislast für den Wiedereinschluss, d.h. er muss nicht nur beweisen, dass die Erreger durch eine Unfallverletzung in seinen Körper gelangt sind, sondern er muss zudem beweisen, dass diese Unfallverletzung nicht geringfügig war. Maßgebliche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Erstschilderung des Unfallgeschehens; will der VN hiervon im Nachgang abweichen, dann steht er im Verdacht des „angepassten Vortrags“ und muss diesen Verdacht entkräften.

Wenn mithin der VN im vorliegenden Fall keine plausible Erklärung dafür hat, warum er zunächst nur eine sehr kleine, nicht spürbare und nicht behandlungsbedürftige Verletzung beschrieben hat, obwohl die Verletzung ja dann doch gravierend und bis auf den Knochen reichend gewesen sein soll, dürfte die Klage abzuweisen sein.

Dr. René Steinbeck

Dr. René Steinbeck ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Boutique für Versicherungs- und Haftpflichtrecht Steinbeck und Partner.