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Haftpflichtversicherung

Mitverschulden bei mitwirkender Tiergefahr? – BGH vom 31.05.2016

Was war passiert?

Kläger und Beklagter sind jeweils Hundehalter. Als der Kläger mit seinem angeleinten Labrador während eines Sparziergangs am Grundstück des Beklagten vorbeigegangen war, hatte sich dessen Golden Retriever durch eine das Grundstück des Beklagten begrenzende Hecke gezwängt und war auf den Hund des Klägers zugerannt. Es kam sodann zu einer Hunderangelei, im Zuge dessen sich beide Hunde bissen und auch der Kläger vom Hund des Beklagten gebissen wurde.

Wegen der erlittenen Bissverletzung nahm der Kläger den Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch. Die Vorinstanzen hatten der Klage teilweise stattgegeben und hierbei u.a. ausgeführt, dass die Berücksichtigung eines Mitverschuldens auf Seiten des Klägers nach § 254 BGB analog (im Sinne einer mitwirkenden Tiergefahr) nicht in Betracht komme, da sich in dem rein passiven Verhalten seines Hundes die Tiergefahr nicht verwirklicht habe.

Die Sache lag dem BGH in der Revision zur Entscheidung vor und wurde von diesem an die Vorinstanz zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen (BGH, Urteil vom 31.05.2016 – VI ZR 465/15).

I.  Verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung, § 833 BGB

§ 833 BGB beinhaltet einen in der Praxis bedeutsamen Fall der Gefährdungshaftung (als Gegenstück zur Verschuldenshaftung):

§ 833 Satz 1 BGB
Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

Derjenige, der die tatsächliche Gewalt über ein Tier ausübt, haftet nach § 833 Satz 1 BGB ungeachtet eines eigenen Verschuldens für diejenigen Schadenfolgen, in der sich die so genannte Tiergefahr realisiert hat. Wie auch beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs sieht der BGH im Halten eines Tieres eine besondere Gefahrenquelle mit besonderem Schadenpotential: Der Tierhalter konfrontiert seine Umwelt mit einem lebenden Organismus, dessen Eigenschaften und Verhalten er wegen der „tierischen Eigenwilligkeit“ nicht in vollem Umfang kontrollieren kann. Da selbst sorgfältigstes Verhalten des dazugehörigen Menschen den Schadeneintritt aufgrund der spezifischen Gefährdungssituation häufig nicht zu vermeiden vermag, sollen die Schadenfolgen auch ungeachtet eines eigenen Verschuldens im Wege der Gefährdungshaftung vom Halter des Tieres getragen werden.

Voraussetzung für eine Tierhalterhaftung ist, dass sich in dem konkreten Schadenfall auch tatsächlich eine spezifische Tiergefahr verwirklicht hat. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH der Fall, wenn sich ein Schaden gerade als Folge einer „Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens“ darstellt.

Umstritten sind in diesem Zusammenhang immer wieder diejenigen Fälle, in denen ein Tier lediglich als „passives Objekt“ von einem anderen Tier angegriffen wird, d.h. es selbst keinerlei unberechenbares tierisches Verhalten „an den Tag gelegt“ hat.

II.  Zurück zum Fall: Realisierung der Tiergefahr auf Seiten des Klägers?

Im zugrunde liegenden Fall hatte sich der Hund des Klägers zunächst ordnungsgemäß angeleint an dessen Seite befunden und war zunächst  lediglich „Opfer“ des Angriffs des Hundes des Beklagten. Die Vorinstanzen waren vor diesem Hintergrund davon ausgegangen, dass sich auf Seiten des klägerischen Hundes die Tiergefahr gar nicht realisiert habe und daher auch nicht im Rahmen eines Mitverschuldens nach § 254 BGB analog berücksichtigt werden könne. Dies korrigierte der BGH: Es könne dahinstehen, ob sich auch bei einem rein passiven Verhalten die Tiergefahr realisiere, denn jedenfalls habe sich das Verhalten des Hundes des Klägers nicht auf eine passive Stellung als „angeleinter Hund“ beschränkt, als es zu einer Rangelei mit wechselseitigem Beißen gekommen sei. Spätestens ab diesem Moment habe sich eine Interaktion der beiden Tiere entwickelt, die deren tierischen Naturell entsprochen habe; mithin habe sich auf beiden Seiten die spezifische Tiergefahr verwirklicht.

III.  Beiderseitige Tiergefahr: § 254 BGB analog

Wenn – wie hier – auf beiden Seiten eine Tiergefahr an der Schadenentstehung mitgewirkt hat, wird diese zulasten des jeweiligen Halters grundsätzlich wie ein Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB (in analoger Anwendung) berücksichtigt.

Achtung: Ausnahme!

Eine Ausnahme hiervon macht der BGH aber dann, wenn sich auf einer Seite nicht lediglich die Tiergefahr realisiert hat, sondern daneben auch ein – nach § 823 BGB zu sanktionierendes – schuldhaftes Verhalten des Halters selbst in Betracht kommt. Der BGH orientiert sie hierbei an dem Sinngehalt des § 840 Abs. 3 BGB. § 840 BGB regelt zunächst einmal, dass „Mehrere“ die für einen Schaden „nebeneinander verantwortlich“ sind, als Gesamtschuldner haften. Für den Gesamtschuldnerinnenausgleich sieht § 840 Abs. 3 BGB dann allerdings eine Privilegierung desjenigen vor, dessen Haftung allein aus verschuldensunabhängiger Gefährdungshaftung folgt:

§ 840 BGB
(1) Sind für den aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Schaden mehrere nebeneinander verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner.
(…)
(3) Ist neben demjenigen, welcher nach den §§ 833 bis 838 zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, ein Dritter für den Schaden verantwortlich, so ist in ihrem Verhältnis zueinander der Dritte allein verpflichtet.

Kurz: Wenn Zwei nebeneinander einem Dritten als Gesamtschuldner haften und davon der Eine wegen Verschuldens und der Andere ohne Verschulden (nur aufgrund einer gesetzlich vorgesehenen Gefährdungshaftung), dann soll im Innenverhältnis derjenige allein haften, der schuldhaft gehandelt hat.

Diesen Rechtsgedanken überträgt der BGH nun auf die hier in Rede stehende Fallkonstellation: Während sich beim Kläger selbst nur die Tiergefahr realisiert hat (während er selbst sorgfaltsgemäß ohne Verschulden agiert hat), kommt beim Beklagten hinzu, dass dieser sein Grundstück nicht ordnungsgemäß gesichert und daher ein „Ausbüchsen“ seines Hundes womöglich schuldhaft ermöglich hatte. Wenn dieses der Fall sein sollte – was die Instanzgerichte zu prüfen versäumt hatten –, dann wäre es nach Auffassung des BGH ausgeschlossen, auf Seiten des Klägers die Tiergefahr anspruchsmindernd (nach § 254 BGB analog) zu berücksichtigen.

IV.  Fazit

Bei Schadenfällen unter Beteiligung mehrerer Hunde wird deren Tiergefahr dem jeweiligen Halter zugerechnet und nach § 254 BGB analog berücksichtigt.

Wenn jedoch einer der Halter nicht nur aufgrund der Tierhalterhaftung (verschuldensunabhängig), sondern zusätzlich noch wegen eines eigenen Verschuldens haftet, dann bleibt für die Berücksichtigung eines Mitverschuldens kein Raum.

Dr. René Steinbeck

Dr. René Steinbeck ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Boutique für Versicherungs- und Haftpflichtrecht Steinbeck und Partner.