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Krankenversicherung

Substantiierungslast in der Krankentagegeldversicherung

Ausdauer lohnt sich – Zum Umgang mit unzureichendem Vortrag des Versicherungsnehmers in der Krankentagegeldversicherung

In unserer forensischen Praxis zeigt sich immer wieder, dass bei Klagen auf Zahlung von Krankentagegeld besonderer Augenmerk auf einen vollständigen Vortrag des Versicherungsnehmers zu legen ist. Teilweise werden vorschnell Sachverständigengutachten eingeholt, die sich sodann als unbrauchbar herausstellen, weil die Beweisfragen mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen nicht beantwortet werden konnten. Nur wenn sowohl das konkrete Berufsbild unverrückbar feststeht, als auch genau bezeichnet ist, weshalb sich der Versicherungsnehmer krankheitsbedingt außerstande sieht, die anfallenden Tätigkeiten zu erbringen, kann ein Sachverständiger beurteilen, ob aus medizinischer Sicht Umstände vorliegen, die eine vollständige bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum begründen.

Hierauf kann nicht oft genug hingewiesen werden. Denn die Darlegungs- und Beweislast der Versicherungsnehmer wird in der Praxis häufig von deren Prozessbevollmächtigten und teilweise auch von Gerichten verkannt. Es findet sich die Auffassung, die Vorlage von AU-Bescheinigungen sei ausreichend, um den in Streit stehenden Zahlungsanspruch von Krankentagegeld zu begründen. Wenn zusätzlich noch der behandelnde Arzt als Zeuge angeboten werde, sei die Sache quasi bereits zugunsten des Versicherungsnehmers entschieden.

Die Rechtslage stellt sich indes anders dar. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich bereits mehrfach mit den Anforderungen an den Vortrag des in Bezug auf behauptete Arbeitsunfähigkeit darlegungs- und beweisbelasteten Versicherungsnehmers und die entsprechende Beweiserhebung auseinandergesetzt.

Mit Urteil vom 30.06.2010 (IV ZR 163/09) hat der BGH die Anforderungen an substantiierten Vortrag anschaulich – fast lehrbuchhaft – dargestellt.

Zunächst wird dort in Bestätigung höchstrichterlicher Rechtsprechung festgestellt, dass der Versicherungsfall durch Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen noch nicht bewiesen ist.

„Zwar setzt der Eintritt des Versicherungsfalles unter anderem voraus, dass Arbeitsunfähigkeit während der Heilbehandlung „ärztlich festgestellt“ wird; eine Beweisregel, nach dem es dem Versicherer verwehrt sein könnte, (später) die inhaltliche Richtigkeit dieses Nachweises zu bestreiten, ergibt sich daraus aber nicht. Vielmehr eröffnet dem Versicherer erst der vom Versicherungsnehmer vorzulegende Nachweis die Möglichkeit der Prüfung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist, ohne dass er an diesen gebunden oder auch nur gehalten wäre, eine Nachuntersuchung gemäß §9 (3) MB/KT zu verlangen (…)“

Weiter führt der BGH in bezeichneter Entscheidung aus, wie die Darlegungs- und Beweislast zwischen den Parteien verteilt ist, was sich wie folgt zusammenfassen lässt:
Hinsichtlich einer behaupteten Arbeitsunfähigkeit hat allein der Versicherungsnehmer die anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen. Ob Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorliegt, lässt sich im Regelfall nur durch Einholung eines – objektiven – medizinischen Sachverständigengutachtens klären, denn der behandelnde Arzt als Aussteller der AU-Bescheinigung wird seine eigene, zuvor getroffene ärztliche Einschätzung regelmäßig ohne Weiteres bejahen.

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens setzt allerdings zuvor (!) umfassenden Vortrag des Versicherungsnehmers voraus. Nur wenn sowohl das Berufsbild, als auch die behaupteten Beeinträchtigungen unverrückbar feststehen, kann ein Sachverständiger aus objektiver medizinischer Sicht dazu Stellung nehmen, ob der Versicherungsnehmer im streitgegenständlichen Zeitraum krankheitsbedingt vollständig außer Stande war, seine beruflichen Tätigkeiten zu verrichten. Hierzu gehört es, nicht nur die behaupteten Beeinträchtigungen darzulegen, sondern insbesondere auch, weshalb diese Beeinträchtigung die Ausübung der Berufstätigkeit vorübergehend vollständig unmöglich macht.

Beispielhaft sei das Krankheitsbild einer Depression bzw. depressiven Episode genannt. Diese wird in der ICD 10-Verschlüsselung mit Ziffer F32 belegt, wobei die konkrete Diagnose und Kennzeichnung abhängig von Anzahl und Schwere der auftretenden Symptome zu treffen ist. Eine leichte depressive Episode (F32.0) beispielsweise macht dem Erkrankten in vielen Fällen die Berufsausübung weiterhin möglich und erfordert oft nur eine ambulante Behandlung, während eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen (F32.3) regelmäßig ein so schwer ausgeprägtes Krankheitsbild ist, das alltägliche Aktivitäten unmöglich macht.

Würde man hier den pauschalen Vortrag ausreichen lassen, es sei dem Kläger aufgrund einer Depression unmöglich, „seinen Beruf auszuüben“ (dessen konkrete Ausgestaltung häufig ebenfalls nicht ausreichend dargelegt ist), so wäre bereits im Vorfeld klar, dass ein entsprechendes Sachverständigengutachten unverwertbar wäre. Wegen fehlender Anknüpfungstatsachen könnte der Sachverständige die Beweisfrage nicht beantworten, oder er würde möglicherweise der Versuchung erliegen, bestimmte typische Beschwerden des behaupteten Krankheitsbildes im zu begutachtenden Fall zu unterstellen, obwohl Entsprechendes gerade nicht durch geeignete Anknüpfungstatsachen (beispielsweise durch entsprechende Dokumentation in der Patientenkartei) belegt ist; der Vortrag des Versicherungsnehmers wird dann häufig im Nachhinein entsprechend angepasst.

Folge sind langwierige Ergänzungen oder die mündliche Anhörung der Sachverständigen; manchmal lassen sich die Fehler auch erst in der nächsten Instanz korrigieren. Beispielsweise bedurfte es einer solchen Korrektur durch das OLG Celle, nachdem das erstinstanzlich angerufene Landgericht Bückeburg unsere entsprechenden Ausführungen übergangen hat. Wir zitieren wörtlich aus dem Hinweisbeschluss des OLG Celle vom 03.09.2015 zu Aktenzeichen 8 U 111/15 (Vorinstanz LG Bückeburg, 1 O 42/14):

„Feststellungen zu einer – von dem Kläger darzulegenden und nachzuweisenden – bedingungsgemäßen vollständigen Arbeitsunfähigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum lassen sich auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstoffes entgegen der Auffassung des Landgerichts noch nicht treffen. Hierzu hätte das Landgericht zunächst Feststellungen zur konkreten Beschaffenheit des dem Kläger zuletzt vor der Freistellung durch seinen Arbeitgeber zugewiesenen Arbeitsplatzes treffen müssen. Das hätte vorausgesetzt, dass der Kläger für einen repräsentativen Zeitraum von etwa zwei bis drei Wochen die von ihm zu leistenden Tätigkeiten jeweils nach Art und Umfang nachvollziehbar beschreibt sowie im Einzelnen darlegt, wie sich die krankheitsbedingten Auswirkungen Beeinträchtigungen auf diese verschiedenen Tätigkeiten ausgewirkt haben. Die im Schriftsatz vom 24. September 2014 enthaltene abstrakte Arbeitsplatzbeschreibung reicht für eine Bestimmung des konkreten Tätigkeitsfeldes des Klägers, auf das es ankommt, nicht aus. Auch die weiteren allgemeinen Angaben in den Anamnese-Teilen der beiden vorgerichtlichen Gutachten sind bei weitem zu pauschal. Vielmehr müssen – beispielsweise in Form eines Stundenplans mit ergänzenden Erläuterungen – alle anfallenden Einzelverrichtungen (einschließlich der Uhrzeiten von Arbeitsbeginn und –ende sowie etwaiger Pausen und Mittagszeiten) inhaltlich so genau beschrieben werden, dass die konkrete Ausgestaltung des klägerischen Berufsalltags mit den dabei an ihn gestellten Anforderungen auch für einen Außenstehenden nachvollziehbar wird.
Auf der Grundlage der so im Einzelfall ermittelten Tätigkeiten des Klägers hätten sodann dem gerichtlich bestellten psychiatrischen Sachverständigen genaue Vorgaben gemacht werden müssen, von welchem konkreten Tätigkeitsumfang er auszugehen habe, so dass er anhand dieser Vorgaben aus medizinischer Sicht hätte überprüfen können, ob der Kläger im vorliegend relevanten Zeitraum zu keinerlei wertschöpfenden Tätigkeiten, die zum Kern seines Berufs gehören und die grundsätzlich geeignet sind, zur Erzielung von Einkünften beizutragen, in der Lage gewesen wäre.“

Die 332. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg (Urteil vom 24.08.2016, 332 O 412/15) und bestätigend der 9. Senat des Hanseatischen Oberlandesgerichts (Beschluss vom 21.09.2016, 9 U 201/16) haben diese Grundsätze zutreffend angewandt und in einem anderen von uns geführten Verfahren die Klage eines Versicherungsnehmers auf Krankentagegeld konsequent bereits als unschlüssig beurteilt, weil der Versicherungsnehmer unzureichend zu den Voraussetzungen bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit vorgetragen hatte. Das Hanseatische Oberlandesgericht stellt in seinem Hinweisbeschluss zutreffend fest:

„Zur Schlüssigkeit der Klage gehört außerdem, dass der Kläger unter substantiierter Darlegung seiner Beschwerden und seiner Berufstätigkeit vorträgt, warum er den zuletzt konkret ausgeübten Beruf in keiner Weise mehr ausüben kann (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 29. Juni 2011 – 5 U 297/09 – 76, 5 U 297/09 -, Rn. 44, juris unter Hinweis auf Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil v. 29.08.2007 – 5 U 163/07-16; OLG Köln, VersR 2008,912). Auch auf diese Voraussetzungen hat das Landgericht in seinem Hinweis vom 17.05.2016 ausdrücklich hingewiesen. Selbst wenn man die Schilderung zur Berufstätigkeit des Klägers im Schriftsatz vom 01.08.2016 noch als ausreichend ansehen würde – sie sind es nicht – fehlt es an jeglicher Darstellung, warum er infolge welcher Beschwerden diese Tätigkeit gar nicht mehr auszuüben in der Lage gewesen sein soll. Fehlt es aber an hinreichendem Vortrag, müsste ein Sachverständiger erst die Gesundheitsbeeinträchtigung und die Arbeitsbedingungen des Versicherungsnehmers ermitteln. Auch hier ersetzt der Beweisantritt im Übrigen nicht substantiierten Vortrag. […] Die Ausführungen gehen letztlich über die schlichte Behauptung, Heilbehandlungen seien erfolgt und der Kläger sei arbeitsunfähig gewesen, nicht hinaus.“

Fazit

Bei Streitigkeiten um die Zahlung von Krankentagegeld hat der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer die Tatsachen, welche bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit aus seiner Sicht begründen, umfassend darzulegen. Erst und nur dann, wenn der Versicherungsnehmer dieser Darlegungspflicht ausreichend nachgekommen ist, ist an die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu denken. Weil es häufig an vollständigen Darlegungen von Klägerseite mangelt, kann darauf nicht oft genug hingewiesen werden.

Die vehemente Anmahnung entsprechenden Vortrages mag zwar lästig und unangenehm sein, ist aber zwingend erforderlich und wird belohnt, wenn dadurch die Grundlagen für die Einholung eines verwertbaren Sachverständigengutachtens gelegt werden.

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich das Problem zumeist in Streitigkeiten vor dem Amtsgericht stellt. In obergerichtlicher Zuständigkeit – wo sich häufig versicherungsrechtliche Spezialzuständigkeiten finden – wendet jedenfalls das Gericht die Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei behaupteter Arbeitsunfähigkeit überwiegend zutreffend an.

Wir bleiben dran!

Kerstin Jeske

Kerstin Jeske ist Fachanwältin für Versicherungsrecht und Partner der Boutique für Versicherungs- und Haftpflichtrecht Steinbeck und Partner.