Den seit geraumer Zeit tobenden Kampf um die Frage, ob der Geschädigte verpflichtet ist dem Versicherer vor dem Verkauf des totalbeschädigten Fahrzeugs das Gutachten „zur Prüfung“ vorzulegen, hat der BGH in seinem aktuellen Urteil vom 27.09.2016 – Az. VI ZR 673/15 – zu Gunsten der Geschädigten entschieden. Der BGH führt zudem seine Rechtsprechung fort, wonach bei Restwertangeboten der regionale Markt maßgeblich ist. Allerdings lässt der BGH „eine Hintertür“ offen, welcher die überwiegende Anzahl der Rezensenten im Internet offensichtlich keinerlei Bedeutung beimisst. Diese wird jedoch dazu führen, dass der „Kampf um den Restwert“ weitergehen wird.
Was war passiert?
Die beklagte KH-Versicherung legte dem Geschädigten mehrere höhere Restwertangebote vor, darunter ein verbindliches Angebot eines nicht ortsansässigen Aufkäufers, und rechnete den Schaden unter Zugrundelegung dieses Angebotes ab. Der Kläger verlangte den Differenzbetrag zwischen dem Restwertangebot sowie dem von ihm erzielten Verkaufserlös.
Die Entscheidung des BGH
Der BGH betont unter Hinweis auf die seine ständige Rechtsprechung (vgl. BGH VersR 2010, 963), dass der Geschädigte dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Allgemeinen dann Genüge leistet, wenn er die Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs zu dem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das mindestens drei Restwertangebote des örtlichen Marktes enthält, auf dem allgemeinen, örtlichen Restwertmarkt ermittelt hat. Danach ist der Geschädigte nicht verpflichtet eigene Marktforschung zu betreiben und dabei Angebote auch entfernterer Interessenten einzuholen (BGH VersR 2005, 381) oder einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen (BGH VersR 2010, 963). Auch ist der Geschädigte nicht gehalten abzuwarten, um dem Schädiger vor der Veräußerung des verunfallten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und gegebenenfalls bessere Restwertangebote vorzulegen (vgl. BGH VersR 1993, 769).
Der gegenteiligen Auffassung des 13. Senats des OLG Köln (NJW- RR 2013, 224) erteilt der BGH eine Absage. Bereits das Landgericht Köln (Urteil vom 08.10.2014 – 13 S 31/14) hatte „seinem“ OLG die Gefolgschaft verweigert. Auch der 3. Senat des OLG Köln war der Entscheidung des 13. Senats entgegengetreten (unveröffentlichtes Anerkenntnisurteil vom 30.07.2015 – 3 U 46/15).
Es bleibt dabei, dass ein über den im Gutachten ermittelten Restwert hinausgehender Betrag nur dann zu berücksichtigen ist, wenn ihm keine überobligatorischen Anstrengungen des Geschädigten zugrunde liegen (BGH VersR 2005, 381).
In der Praxis wurde in der Vergangenheit stets kontrovers die Frage diskutiert, ob es in Anbetracht der technischen Entwicklung noch zeitgemäß ist, bei der Bemessung des Restwertes allein auf den regionalen Markt abzustellen ist. Dies bejaht der BGH ausdrücklich. Denn es muss dem Geschädigten möglich sein, das beschädigte Fahrzeug einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler vor Ort beim Erwerb eines Ersatzfahrzeuges in Zahlung zu geben (vgl. hierzu BGH VersR 2009, 413). Auf Grund der Verknüpfung mit der Inzahlegabemöglichkeit vor Ort, ist nicht zu erwarten, dass der BGH diese Rechtsprechung in absehbarer Zeit eine Überprüfung unterziehen wird.
Sodann führt der BGH zu der in der Praxis heftig umkämpften Frage aus, ob der Geschädigte unter dem Gesichtspunkt der Schadenminderungspflicht dem Versicherer des Schädigers die Gelegenheit einräumen muss, ihm höhere Restwertangebote zu übermitteln. Diese Pflicht verneint der BGH unter Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber dem Geschädigten in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gerade die Möglichkeit eingeräumt habe, die Behebung des Schadens in Eigenregie durchzuführen. Eine Pflicht des Geschädigten, vor einer Veräußerung des Fahrzeugs dem Schädiger Gelegenheit zu geben, möglicherweise höhere Restwertangebote vorzulegen, würde diese gesetzgeberische Grundentscheidung unterlaufen.
Die „Hintertür“
Ein Schlupfloch lässt der BGH dem Versicherer jedoch. Denn er führt aus:
„Der Schädigerseite bleibt es im Übrigen unbenommen, im Rahmen einer möglichst frühzeitigen Kontaktaufnahme etwa durch wirtschaftliche Anreize darauf hinzuwirken, dass der Geschädigte die Verwertung des beschädigten Fahrzeugs freiwillig in die Hände des Haftpflichtversicherers legt, oder zu versuchen, dem Geschädigten auch ohne dessen Mitwirkung rechtzeitig eine günstigere Verwertungsmöglichkeit zu unterbreiten, die dieser ohne weiteres wahrnehmen kann und die ihm zumutbar ist.“
Leider schweigt sich der BGH dazu aus, was er unter einem „wirtschaftlichen Anreiz“ versteht. Auch bleibt unklar, wie dem Geschädigten, wohl gemerkt ohne dessen Mitwirkung, eine günstigere Verwertungsmöglichkeit unterbreitet werden soll. Letzteres würde gerade darauf hinauslaufen, dass der Geschädigte dem Versicherer das Gutachten zur Prüfung überlässt. Es besteht daher Gelegenheit zur Kreativität und es ist absehbar, dass der „Kampf um den Restwert“ weitergehen wird.