Unfallversicherung

Invaliditäts-Fristen in der Privaten Unfallversicherung

Der regelmäßig im Fokus der Leistungsbearbeitung stehende Anspruch auf Invaliditätsleistung ist wie kaum ein anderer Deckungsanspruch in formeller Hinsicht an die Einhaltung von Fristen geknüpft. Ausgehend von den AUB 2014 in der vom GDV empfohlenen Fassung stellen sich die vom Versicherungsnehmer einzuhaltenden Fristen wie folgt dar:

„2.1.1.2 Eintritt und ärztliche Feststellung der Invalidität
Die Invalidität ist innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall
– eingetreten und
von einem Arzt schriftlich festgestellt worden.
Ist eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, besteht kein Anspruch auf Invaliditätsleistung.

2.1.1.3 Geltendmachung der Invalidität
Sie müssen die Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall bei uns geltend machen. Geltend machen heißt: Sie teilen uns mit, dass Sie von einer Invalidität ausgehen.
Versäumen Sie diese Frist, ist der Anspruch auf Invaliditätsleistung ausgeschlossen.
Nur in besonderen Ausnahmefällen lässt es sich entschuldigen, wenn Sie die Frist versäumt haben.
Beispiel: Sie haben durch den Unfall schwere Kopfverletzungen erlitten und waren deshalb nicht in der Lage, mit uns Kontakt aufzunehmen.“

Nach den (unverbindlichen) Empfehlungen des GDV für die AUB 2014 gelten danach ab dem Tag des Unfalls folgende drei (einheitliche) „Invaliditätsfristen“:

  • Eintritt: 15 Monate
  • Ärztliche Feststellung: 15 Monate
  • Geltendmachung: 15 Monate

In den Bedingungswerken der Unfallversicherer (vor allem in den älteren) sind häufig abweichende Fristen vorgesehen, so ist es in Bedingungswerken weit verbreitet, dass die Eintrittsfrist lediglich 1 Jahr beträgt und die weiteren Fristen 15 Monate (teilweise aber auch auf 24 Monate verlängert sind). Im Einzelfall ist es mithin – wie im Deckungsrecht ohnehin – geboten, die im konkreten Einzelfall geltenden Bedingungen zu berücksichtigen (gelegentlich sind auch zusätzliche Deckungsbausteine mit Verbesserungen Vertragsgegenstand, die verlängerte Fristen vorsehen).

I. Sinn und Zweck

Gerade im Bereich der Invaliditätsleistung ist es für den Versicherer von nachvollziehbarer Bedeutung, möglichst genau zu wissen, welche gesundheitlichen Einschränkungen tatsächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen sind und welche späteren Schäden mit dem Unfallereignis gerade nicht in einem ursächlichen Zusammenhang stehen. Je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger ist es erfahrungsgemäß, verwertbare Befunde zu gewinnen, die insoweit eine verlässliche medizinische Beurteilung erlauben.

II. Rechtsnatur

Ihrem Wesen nach ist die Einhaltung der

  • Eintrittsfrist und der
  • Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität

eine Anspruchsvoraussetzung, die der VN darzulegen und zu beweisen hat. Während dies für die Eintrittsfrist selbstverständlich ist, gilt dies insbesondere auch im Hinblick auf die Frist zur ärztlichen Feststellung, d.h. es handelt sich insbesondere nicht um eine vertragliche Obliegenheit (bei deren Verletzung die Leistungsfreiheit des VR wiederum von weiteren Voraussetzungen, wie bstimmten Verschuldens- und Kausalitätsbetrachtungen abhinge).  Kurz: Versäumt der VN die Eintrittsfrist und die Frist zur ärztlichen Feststellung, besteht kein Anspruch (Sonderfälle ausgenommen, in denen es treuwidrig wäre, würde sich der VR auf das Fristversäumnis berufen; hierzu sogleich).

Die Frist zur Geltendmachung der Invalidität hingegen wird überwiegend als Ausschlussfrist qualifiziert, deren Ablauf der VR darzulegen und zu beweisen hat und hinsichtlich derer dem VN nach ständiger Rechtsprechung ein Entlastungsbeweis zugestanden wird (was durch das in den AUB 2014 aufgenommene „Beispiel“ verdeutlicht wird).

III. Eintrittsfrist

Die Invalidität muss nach den AUB 2014 binnen 15 Monaten (nach zahlreichen älteren Bedingungswerken binnen Jahresfrist) eingetreten sein. D.h. es muss bereits innerhalb dieser Frist eine Gesundheitsschädigung vorliegen, die den Status einer Dauerschädigung erreicht hat. Wie sich bereits aus der gesonderten Frist zur ärztlichen Feststellung ergibt, muss dies nicht innerhalb der Eintrittsfrist ärztlich nachgewiesen sein; ausreichend ist der Eintritt an sich (der dann auch später – rückblickend – ärztlich festgestellt werden kann).

Für den Eintritt ist eine wie auch immer geartete dauerhafte Beeinträchtigung ausreichend, d.h. es muss kein bestimmter Invaliditätsgrad vorliegen; ausreichend ist, dass überhaupt Invalidität eingetreten ist.

IV. Frist zur ärztlichen Feststellung

Die Frist zur ärztlichen Feststellung ist wohl unbestritten diejenige der drei Fristen mit dem größten Streitpotential: Ist die ärztliche Feststellung inhaltlich ausreichend? War die ärztliche Feststellung rechtzeitig? Darf sich der VR auf ein etwaiges Fristversäumnis berufen?

1. Form

Für die ärztliche Feststellung gilt ein bedingungsgemäß vorgesehenes und wohl nicht weiter zu rechtfertigendes Erfordernis der Schriftlichkeit. Die Schriftlichkeit ist nicht gleichzusetzen mit der „Schriftform“ im Sinne des § 126 BGB, sondern dient vor allem zur Abgrenzung lediglich mündlicher Aussagen eines Arztes. Wenn ein Arzt eine entsprechende Feststellung in einer E-Mail vornimmt und sich deren fristgemäße Erstellung nachvollziehen lässt, ist nicht einzusehen, aus welchem Grunde eine solche „Textform“ im Sinne von § 125b BGB nicht ausreichen sollte. Maßgeblich ist, dass die Feststellung schriftlich niedergelegt ist und nicht lediglich in einer mündlichen Bestätigung besteht (denn eine solche würde wiederum zu Beweisschwierigkeiten führen, deren Vermeidung ja gerade Sinn und Zweck der Frist zur ärztlichen Feststellung ist).

Die ärztliche Feststellung muss auch nicht ein eigens zur Übermittlung an den Unfallversicherer erstelltes Dokument sein; ausreichend sind auch jedwede (ggf. auch interne) „adressatenloseAufzeichnungen des Arztes, wie z.B. ein OP-Bericht.

Urheber der Feststellung muss ein Arzt sein, d.h. die Feststellung eines Psychologen oder Heilpraktikers reicht nicht aus; obendrein muss der Arzt ein Dritter sein, d.h. es ist nicht möglich, dass sich ein als Arzt praktizierender VN selbst eine ärztliche Feststellung ausstellt.

2. Notwendiger Inhalt

Der Einzeiler eines Arztes

Ärztlicherseits wird Invalidität festgestellt

reicht nicht aus. Erforderlich sind die Angabe eines konkreten die Leistungsfähigkeit beeinflussenden Gesundheitsschadens und die Aussage, dass es sich hierbei um eine Unfallfolge handelt. Des Weiteren muss der Arzt eine Aussage zur Dauerhaftigkeit treffen:

  • Feststellung der Gesundheitsschädigung
    „Unter welcher konkreten Gesundheitsschädigung leidet die VP?“
  • Feststellung der Unfallursächlichkeit
    „Ist die Gesundheitsschädigung auf das Unfallereignis zurückzuführen?“
  • Prognose der Dauerhaftigkeit
    „Ist die Gesundheitsschädigung von Dauer?“

Insoweit bedarf es konkreter Angaben. Zur Verdeutlichung: Auch der folgende Einzeiler eines Arztes

„Es wird eine Gesundheitsschädigung festgestellt, die durch den Unfall bedingt und dauerhaft ist“

ist unzureichend. Der ärztlichen Feststellung muss zu entnehmen sein, worin die konkrete Gesundheitsschädigung bei Angabe der körperlichen Symptome besteht. Der Arzt muss daher zunächst objektive Befunde erheben und diese unter Berücksichtigung der medizinischen Lehre bewerten.

BEACHTE:
Leidet die VP unfallbedingt unter dauerhaften Gesundheitsschäden im Bereich der Halswirbelsäule und zugleich im Bereich des Fußgelenks, dann muss sich die ärztliche Feststellung auf beide Bereiche beziehen. Bleibt z.B. der Schaden im Bereich des Fußgelenks außen vor, dann kann dieser bei der Bemessung einer Invaliditätsleistung später auch keine Berücksichtigung finden!

In Bezug auf die Unfallursächlichkeit und die Prognose der Dauerhaftigkeit bedarf es keiner ausschweifenden Begründungen des Arztes, jedoch muss seinen Feststellungen auch hier eine eindeutige Aussage zu entnehmen sein. Feststellungen zu einer etwaigen Möglichkeit einer Invalidität im Sinne von beispielhaft

  • möglicherweise unfallursächlich“,
  • eine dauerhafte Beeinträchtigung ist nicht auszuschließen

genügen nicht den Anforderungen an eine ausreichende ärztliche Feststellung. Es kommt dann im Übrigen auch nicht in Betracht, „schwammige“ Aussagen innerhalb der Frist nach Fristablauf zu konkretisieren (erst recht kommt es nicht in Betracht, den Arzt im Prozess als Zeugen zu benennen, damit dieser dort dann seine Aussagen konkretisiert).

Die Aussage zu einer Dauerhaftigkeit der Gesundheitsschädigung ist nur dann entbehrlich (weil bloßer Formalismus), wenn durch die Art der Gesundheitsschädigung deren Dauerhaftigkeit auf der Hand liegt (z.B. beim Verlust einer Gliedmaße).

3. Treuwidrigkeit im Einzelfall

Unter Umständen ist es dem Versicherer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich zur Leistungsablehnung auf eine nicht fristgemäße ärztliche Feststellung zu berufen. Dies ist auch bei einer ordnungsgemäßen Belehrung des Versicherers (§ 186 VVG) dann in Betracht zu ziehen, wenn das Verhalten des VR selbst den Anlass für eine weitere Belehrung begründet.

Wenn ein VR den VN zwar ordnungsgemäß über die geltenden Fristen belehrt, zugleich aber selbst ein Gutachten in Auftrag gibt, ohne den VN darüber zu belehren, dass dieser gleichwohl verpflichtet ist, die Invalidität fristgemäß feststellen zu lassen, dann schafft er durch sein Verhalten ggf. einen Vertrauenstatbestand, aufgrund dessen der VN den Eindruck gewinnen kann, der VR nehme nun selbst entsprechende Feststellungen vor, so dass seine „eigenen“ Feststellungen dann entbehrlich sind. Wenn der VR in einer solchen Konstellation nicht gesondert auf die gleichwohl bestehende Notwendigkeit einer eigenen ärztlichen Feststellung belehrt, dann darf er sich auf das Fristversäumnis später nicht berufen. Weitere Fälle, in denen von der Schaffung eines Vertrauenstatbestandes auszugehen ist, sind z.B.

  • VR erklärt nach Fristablauf, er habe Ermittlungen eingeleitet und könne eine Invalidität erst nach Abschluss der Behandlungen prüfen (OLG Hamm, Urteil vom 29.09.1999 – 20 U 201/98, VersR 2000, 962);
  • VR erklärt, er werde einen weiteren Arztbericht ­anfordern, um die Höhe des Invaliditätsgrades zu überprüfen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.02.1996 – 12 U 201/95 r+s 1997, 216);
  • VR schreibt dem VN noch innerhalb der 15-Monats-Frist, er entnehme dem ärztlichen Gutachten, dass die endgültige Feststellung der Invalidität erst zwei Jahre nach dem Unfall vorgenommen werden sollte (OLG Frankfurt, Urteil vom 14.02.2001 – 7 U 182/96, VersR 2001, 1149);
  • VR erklärt sich nach Ablauf der Frist bereit, den Gesundheitszustand des Versicherten nach Ablauf von drei Jahren zu überprüfen (OLG Hamm, Urteil vom 02.12.1998 – 20 U 29/97, r+s 1999, 347

V. Frist zur Geltendmachung

Wie bereits oben ausgeführt, handelt es sich bei der Frist zur Geltendmachung der Invalidität nach ständiger Rechtsprechung des BGH um eine Ausschlussfrist. Dies hat zur Folge, dass – anders als im Falle der beiden bereits behandelten Fristen – die Darlegungs- und Beweislast beim VR liegt. Der bedeutendste Unterschied dieser Ausschlussfrist besteht aber darin, dass dem VN die Möglichkeit eines Entschuldigungsbeweises zugestanden wird:

Wenn der Versicherer die Fristversäumung bewiesen hat, dann hat der VN die Möglichkeit, einen Entlastungsbeweis mit der Maßgabe zu führen, dass ihn an dem Fristversäumnis kein Verschulden trifft. Soweit der VN sich auf diesen Entlastungsbeweis stützt, beginnt die Frist aber nicht erneut, sondern er ist sodann verpflichtet, die Invalidität unverzüglich geltend zu machen. Was wiederum „unverzüglich“ im Sinne von „ohne schuldhaftes Zögern“ bedeutet, bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls. Es gilt insoweit keine „2-Wochen-Frist“, sondern vielmehr können auch drei Wochen oder gar zwei Monate noch unverzüglich sein, wenn es dem VN z.B. nicht früher möglich war, in den Besitz maßgeblicher medizinischer Unterlagen zu gelangen, die seine Invalidität belegen.

Der Einwand, von der Frist keine Kenntnis gehabt zu haben, entlastet ihn nicht, weil das Nichtlesen der AUB stets fahrlässig ist. Der Entlastungsbeweis kann dem VN mithin nur dann gelingen, wenn er darlegen und beweisen kann, dass er nach dem (von ihm zu fordernden) Lesen der AUB davon ausgegangen ist

  • die Frist sei noch nicht abgelaufen oder
  • die Frist sei bereits gewahrt.

Eine dieser Annahme dürften dem VN wiederum dann zuzugestehen sein, Äußerungen oder Handlungen des VR als Verzicht auf die Einrede der Fristversäumung gedeutet werden müssen oder der Versicherte weiß, dass dem VR der Eintritt seiner Invalidität bereits anderweitig bekannt geworden ist oder sein muss.

Dr. René Steinbeck

Dr. René Steinbeck ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Boutique für Versicherungs- und Haftpflichtrecht Steinbeck und Partner.