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Haftpflichtversicherung

Die Haftung bei Gefälligkeit – Anmerkung zum BGH-Urteil vom 26.04.2016

Das Bild zu unserem Blog zeigt einen Wasserschlauch und eben jener war es, der in einem jüngst vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 26.04.2016 (VI ZR 467/15) entschiedenen Fall ein Gebäude unter Wasser setzte und damit zu einer rechtlichen Auseinandersetzung führte, in deren Zentrum die Frage stand, unter welchen Voraussetzungen zugunsten eines aus Gefälligkeit Handelnden eine Haftungsprivilegierung gilt.

Haftet der Schädiger im Gefälligkeitsverhältnis auch für leichte Fahrlässigkeit – oder gilt eine Haftungsprivilegierung/-beschränkung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz?

Was war passiert?

Der Versicherungsnehmer einer Gebäudeversicherung und dessen Nachbar helfen sich seit vielen Jahren gegenseitig während der Urlaubsabwesenheit des anderen, indem sich die Nachbarn wechselseitig um die Gärten des anderen kümmern und dafür sorgen, dass die Blumen und der Rasen ausreichend gewässert werden. Viele Jahre war dieses auch gut gegangen, doch im Jahr 2011 kam es dazu, dass der Schädiger den Garten des Nachbarn bewässert, im Nachgang dann aber vergessen hatte, den Wasserhahn zuzudrehen. Der Schädiger hatte sich darauf beschränkt, lediglich die am Ende des Schlauchs befindliche Spritzdüse zuzudrehen, so dass der Gartenschlauch weiterhin „unter Druck“ stand und es nachts dazu kam, dass sich die Spritzdüse löste und ungehindert Wasser heraus laufen konnte. Das Wasser lief über die Kellerschächte des Gebäudes in den Keller und verursachte einen Gebäudeschaden, der sodann von der Gebäudeversicherung des Geschädigten vertragsgemäß zum Neuwert reguliert worden war.

Im Nachgang hatte sodann die Gebäudeversicherung den Regress gegen den aus Gefälligkeit Handelnden Nachbarn eingeleitet und ihre Aufwendungen über § 86 VVG geltend gemacht. Der gegen private Haftpflicht versicherte Nachbar hatte – bei der Regulierung vertreten durch seine Haftpflichtversicherung – eingewandt, dass er im Rahmen eines nachbarschaftlichen Gefälligkeitsverhältnisses hinsichtlich des anzulegenden Haftungsmaßstabs privilegiert sei und nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit einzustehen habe. Sein Verhalten sei indes lediglich leicht fahrlässig einzustufen, so dass er bereits dem Grunde nach nicht hafte.

Zentrale Frage war nun, ob eine grundsätzlich anerkannte Haftungsprivilegierung des aus Gefälligkeit Handelnden auch dann gilt, wenn der aus Gefälligkeit Handelnde über eine Haftpflichtversicherung verfügt.

Ist die Haftungsprivilegierung abhängig vom Nichtbestehen einer Privathaftpflichtversicherung?

Entscheidung des OLG Koblenz

Während das erstinstanzliche Landgericht Koblenz eine Haftungsprivilegierung bei Bestehen einer Haftpflichtversicherung auf Seiten des Schädigers abgelehnt hatte, empfand das OLG Koblenz, dass die Existenz einer Haftpflichtversicherung unter Berücksichtigung des in der Haftpflichtversicherung geltenden Trennungsprinzips keine Auswirkungen auf die Haftungsfrage haben könne und damit eine Haftungsprivilegierung auch dann anzunehmen sei, wenn der Schädiger über eine Haftpflichtversicherung verfüge (OLG Koblenz, Urteil vom 07.07.2015 – 3 U 1468/14, r+s 2015, 464).

Entscheidung des BGH

Der Bundesgerichtshof hat dieses Urteil des OLG Koblenz aufgehoben und in seiner Begründung festgestellt, dass zwischen den beiden Nachbarn ein Gefälligkeitsverhältnis bestanden habe und Ansprüche daher nur aus unerlaubter Handlung herzuleiten seien. Zugleich hielt der BGH allerdings daran fest, dass eine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz „nur ganz ausnahmsweise“ angenommen werden könne. Da es sich um eine „künstliche Rechtskonstruktion aufgrund einer Willensfiktion“ der Beteiligten handele, mithin die Frage zu stellen sei, ob die Beteiligten in Kenntnis der späteren Umstände einen Haftungsverzicht vereinbart hätten, müsse man davon ausgehen, dass ein solcher Haftungsverzicht nicht vereinbart worden wäre, wenn der Schädiger gegen Haftpflicht versichert ist.

Im Ergebnis nimmt der Bundesgerichtshof mithin eine ergänzende Vertragsauslegung vor, d.h. er mutmaßt, was die Beteiligten im Vorfeld vereinbart hätten, sofern sie das Schadenszenario hätten voraussehen können und unterstellt insoweit, dass der Geschädigte einem Haftungsverzicht bei einfacher Fahrlässigkeit nicht  zugestimmt hatte, wenn denn ein wirksamer Haftpflichtversicherungsschutz bestünde.

Ist dies zutreffend?

Hält es tatsächlich einer rechtlichen Überprüfung stand, dass eine Haftungsbeschränkung zugunsten des aus Gefälligkeit Handelnden nur dann greift, wenn dieser nicht haftpflichtversichert ist?

Unser Standpunkt

Wir meinen „Nein“.

Es ist zwar richtig, dass der Bundesgerichtshof bereits in der Vergangenheit in diversen Urteilen eine Haftungsbeschränkung zugunsten des aus Gefälligkeit Handelnden dann abgelehnt hat, wenn auf seiner Seite ein Haftpflichtversicherungsschutz bestand. Wenn man sich dieses Urteil des Bundesgerichtshofs in der Vergangenheit jedoch betrachtet, dann fällt auf, dass es sich stets um Fälle handelt, in denen

  • die Gefälligkeitshandlung gefahrträchtig war,
  • jeweils ein massiver Personenschaden eingetreten war und
  • der Geschädigte bzw. die Hinterbliebenen des Geschädigten keine anderweitige Ersatzmöglichkeit hatte.

In diesen Fällen, in denen erhebliche finanzielle Schäden im Raume standen, für die niemand eintrittspflichtig war und welche auch der aus Gefälligkeit handelnde Schädiger nicht hätte kompensieren können, hatte der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit diverse Male entschieden, dass in diesen Fällen nicht von einer Haftungsprivilegierung auszugehen sei, da der Schädiger privat haftpflichtversichert war und insoweit auch für leichte Fahrlässigkeit einzustehen habe.

Wenngleich wir bereits diese Urteile – rein rechtsdogmatisch betrachtet – für fragwürdig halten, da sie nach unserer Einschätzung gegen das in der Haftpflichtversicherung geltende Trennungsprinzip verstoßen, so können wir deren Ergebnis zumindest moralisch nachvollziehen: Dann, wenn Hinterbliebene Ansprüche geltend machen, weil deren Ehemann und Vater aufgrund einer Gefälligkeitshandlung verstorben ist, dann können wir durchaus die Neigung verstehen, den Hinterbliebenen in einem solchen Fall zu helfen und die Schadenkompensation auf die Haftpflichtversicherung auf Seiten des Schädigers zu verlagern.

Allerdings ist der nunmehr vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall ein gänzlich anderer:

  • Weder handelt es sich bei dem Gießen der Blumen um eine gefahrträchtige Arbeit,
  • noch ist ein hoher Personenschaden entstanden,
  • noch bleibt der Geschädigte auf seinem „Schaden sitzen“.

Es verhält sich hier so, dass der geschädigte Nachbar sogar über eine Gebäudeversicherung verfügte, die ihm seinen Schaden zum Neuwert ersetzte (und damit noch „großzügiger“ als eine lediglich zum Ersatz des Zeitwerts verpflichtete Haftpflichtversicherung des Schädigers).

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der sich in seinen Entscheidungsgründen weder mit dem Trennungsprinzip noch mit den im Verfahren aufgezeigten Unterschieden zu den vorausgegangenen Fällen auseinandersetzte, ist nach unserem Dafürhalten falsch. Die Bewertung durch den Bundesgerichtshof widerspricht dem Trennungsprinzip, denn die Auffassung des Bundesgerichtshofs für zutreffend erachtet,

bestimmt die Deckung die Haftung und dies verstößt gegen das Trennungsprinzip

Das kann nach unserer Einschätzung nicht sein und im Übrigen ist auch nicht einzusehen, warum bei zahlreichen gesetzlich geregelten unentgeltlichen Schuldverhältnissen Haftungsprivilegierungen vorgesehen werden, bei denen zugleich aber – selbstredend – die Existenz einer Haftpflichtversicherung gänzlich unmaßgeblich ist. Sowohl

  • bei ehrenamtlicher Tätigkeit (§ 31b Abs. 1 BGB), als auch
  • bei Schenkung (§ 521 BGB), als auch
  • bei Leihe (§ 599 BGB)

haftet der Vertragspartner jeweils nur für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz und in keinem dieser Fälle macht das Gesetz eine Ausnahme von der Haftungsprivilegierung für den Fall, dass eine Haftpflichtversicherung besteht.

Warum sollte dies beim gesetzlich nicht geregelten Gefälligkeitsverhältnis anders sein?

Auch die ergänzende Vertragsauslegung vermag uns nicht zu überzeugen. Mag man in den bislang entschiedenen Fällen mit erheblichem Personenschaden, gefahrträchtiger Tätigkeit und keiner anderweitigen Ersatzmöglichkeit tatsächlich im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dazu kommen, dass Geschädigter und Schädiger in Kenntnis der späteren Umstände vereinbart hatten, dass eine Haftungsbeschränkung bei Existenz einer Haftpflichtversicherung nicht gilt, so kann dies für den vorliegenden Fall nicht angenommen werden:

Wenn doch der Geschädigte selbst über eine Gebäudeversicherung verfügt, die ihm einen etwaigen Schaden zum Neuwert ersetzt, warum sollte er dann im Rahmen einer Vereinbarung mit seinem aus Gefälligkeit handelnden Nachbarn erwarten und fordern, dass dieser seine Haftpflichtversicherung in Anspruch nimmt (zumal ja auch die Inanspruchnahme einer Haftpflichtversicherung mit Nachteilen verbunden ist?)

Der VI. Zivilsenat missachtet mit seiner Entscheidung das in der Haftpflichtversicherung bestehende Trennungsprinzip und er hat es versäumt, sich im Rahmen seiner Darlegungen zur ergänzenden Vertragsauslegung im Hinblick auf die künstliche Rechtskonstruktion mit den Erwägungen auseinandersetzen, die dem Berufungsurteil des OLG Koblenz zugrunde lagen und von diesem zum Ausdruck gebracht wurden.

Nach unserer Einschätzung – die der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs jedoch nicht teilt – haftet der aus Gefälligkeit Handelnde nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, jedoch nicht für leichte Fahrlässigkeit und dies unabhängig davon, ob zu seinen Gunsten eine Haftpflichtversicherung besteht. Etwas anderes mag über den Weg der ergänzenden Vertragsauslegung dann gelten, wenn ein erheblicher Personenschaden bei gefahrträchtiger Arbeit ohne anderweitige Ersatzmöglichkeit entsteht.

Wenn aber – wie hier – keine gefahrträchtige Tätigkeit vorliegt, lediglich ein Sachschaden entsteht, der obendrein gegen Neuwert versichert ist, dann gibt es aus unserer Sicht keinen Grund, von der grundsätzlich anerkannten Haftungsprivilegierung abzuweichen. Vielmehr gebietet es vor allem die Analogie zu dem gesetzlich geregelten unentgeltlichen Schuldverhältnissen, von einer Haftungsbeschränkung auszugehen, die – beinahe selbstredend – unabhängig vom Deckungsverhältnis auf Seiten des Schädigers gilt.

Dr. René Steinbeck

Dr. René Steinbeck ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Boutique für Versicherungs- und Haftpflichtrecht Steinbeck und Partner.